Gedoppelte Realität im Rückspiegel
Text on Tony Smith
Replica of a model of TAU
Published at Ve.ScHeft #6
2012
Gedoppelte Realität im Rückspiegel
Eine nächtliche Autofahrt auf dem noch nicht fertiggestellten New Jersey Turnpike, Anfang der 50er Jahre. Die Landschaft ist künstlich und doch keine Kunst. Und trotzdem kann sie etwas bewerkstelligen, was Kunst nicht kann. Es ist nicht nur stockdunkel draußen, auch die Lampen des Autos bleiben ausgeschaltet. Mit drei Studenten der Cooper Union im Auto ist die Lehre gleich Bestandteil der künstlerischen Praxis oder die Praxis Bestandteil der künstlerischen Lehre – so wie beim “Fliegenden Klassenzimmer”. Es ist finster im Auto und das, was von Außen nach Innen dringt bleibt schemenhaft im Dunklen. Keine Beleuchtung, keine Fahrbahn- oder Randmarkierungen. Die Fahrt gleicht einer Blindfahrt, mehr Nichtsehen, als Sehen etliche Kilometer über die Meadows bis New Brunswick.
Der New Jersey Turnpike, als Meisterleistung bezeichnet, gebaut in zwei Jahren von Ingenieuren und Architekten. Asphalt hat den Beton als Straßenbelag abgelöst, auf der neuen Strecke ist er noch tiefschwarz. Das Auto fährt durch eine offene amerikanische Landschaft. Über weite Stecken wie schwebend auf der erhöhten Trasse. In einiger Entfernung Hügel und Türme. Das Ende der Kunst? „Die Fahrt auf dem New Jersey Turnpike ist wie das Fahren in eine neue Welt“, heißt es in einem Werbefilm des Asphalt Institutes.
Etwas später in Europa, fast ein Jahrzehnt nach dem Krieg. Fantastische verlassene Orte, surreale Landschaften. Auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das Märzfeld, größer als 80 Fußballfelder, umsäumt von Wällen, Tribünen und mächtigen Türmen. Diesmal zu Fuß unterwegs. Der Aufmarschplatz der Nazis, eine künstliche Landschaft, keine Baustelle, obwohl nie ganz fertiggestellt, eher eine Ruine. Damals noch im Besitz der US-Armee. Anschließend werden die Türme gesprengt und das Material für die Wohnbausiedlung Langwasser verwendet, die an diesem Ort entsteht. Es ist so, als ob Anfang und Ende auf eine beunruhigende Art und Weise zusammenfallen würden.
Zurück in den USA ist es doch besser Künstler und kein Architekt zu sein. Kleine Modelle aus Karton, mit Teer bemalt. Große schwarze Stahlskulpturen, einfache geometrische Formen, abgeflacht im 60 Grad Winkel, aufgestellt auf Plätzen und in Landschaften. Sie haben Namen wie: Free Ride, The Keys to. Given!, Marriage, Duck 1/3, The Fourth Sign, Night, Light Up, Smoke, Willy, Moses, The Snake is Out, Gracehoper, Lipizzaner und Tau.
Erst vor kurzem wird Tau ein zweites Mal nicht unweit des New Jersey Turnpike aufgestellt. In South Orange, in einem Park, neben dem Ententeich. Tau verschandelt die Landschaft. Tau ist eine Verschwendung von Steuergeldern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Tau steht für Machtmissbrauch, dekadenter Luxus einer kleinen Gruppe, die ihren Willen der Mehrheit aufzwingt. „The Tau is a tagger´s dream“. Jemand sprüht auf eine Seite „$250,000“, auf eine andere „poop“.
Es ist Donnerstag Abend und ich stehe alleine vor Tau. Vielleicht 4 Meter in der Höhe sieht es aus wie ein dreidimensionales Verkehrszeichen. Schwarz zeichnet sich Tau vor dem Hintergrund ab. Schemenhaft steigt es auf in der Dämmerung. Tau ist Positiv und Negativform in einem, es kippt in alle Richtungen. Befindet man sich davor, dreht sich der Raum und ich denk´ an Science-Fiction.
Wolfgang Obermair Dresdner Strasse 46/10 1200 Vienna / Austria