January 22–February 6, 2022, Karin Hatwagner: After the Flood

— english below —

Eröffnungstag: Samstag 22. Januar 2022, 16–20 Uhr
Um 18.00 Uhr findet die Performance „Fellpflege“ statt.
Ausstellungsdauer: 22. Januar – 6. Februar 2022
Öffnungszeiten: Sa. 29. Januar 2021 und 5. Februar 2022 jeweils von 12–16 Uhr
und nach Vereinbarung

Nach der Flut
Die Klimakrise ist nicht nur das, was drohend bevorsteht. Für Millionen von Menschen hat sie längst stattgefunden. Anstatt auf die Apokalypse zu warten, lohnt es sich deshalb zu verstehen, wie Menschen mit dem Verlust ihrer Welt umgehen, wie sie lernen, die Katastrophe als Alltag zu verstehen und in den Verwüstungen zu leben, wie sie in den Ruinen der Moderne gemeinsam eine neue Zukunft entwerfen. Desaster-Kommunismus hat das die große Essayistin Rebecca Solmit einmal genannt. Karin Hatwagners Arbeiten sind in diesem Sinne nach der Flut entstanden. Mit Leichtigkeit entwerfen sie eine Welt, in der sich Menschen und Dinge mit radikaler Zärtlichkeit begegnen.

Was uns überflutet sind nicht nur die steigenden Meeresspiegel, sondern ebenso eine Flut an Waren, die wir kaum gekauft, schon wieder zu Abfall degradieren, zu CO2 verbrennen, auf Müllbergen abladen, in den globalen Süden verschiffen oder einfach im Meer verklappen. Aber Abfall, das was aus der reinen Hochglanzwelt abfällt, lässt sich auch als Zufall verstehen. Karin Hatwagner sieht die Dinge als Zufälle, als das, was ihr zufällt. Sie findet sie, sammelt sie, schützt sie, kümmert sich um sie und gibt ihnen einen Selbstwert. Sie restauriert sie und arbeitet sich fast schon archäologisch durch ihre Schichten. Sie liest die Sprache von Holz, von Goldfolie, von Stoffen und Metallteilen, eine stumme Sprache der Dinge, die in ihrer Materialität geborgen liegt. Dann enthüllt sie die Dinge und bringt ihre Aura zum Scheinen.

Hatwagner assembliert ihre objets trouvés behutsam zu zerbrechlichen Skulpturen und Installationen, in denen ein Weltverhältnis der radikalen Zärtlichkeit aufleuchtet. Sie sieht in den weggeworfenen und verlassenen Dingen nicht den Abfall, sondern die Trümmerteile einer Welt, die verworfen wurde, einer Welt, in der es sich zwar nicht im Überfluss, aber trotzdem gut leben ließe. „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“, hat Adorno proklamiert, aber er hat auch die Kraft der Kunst und der Assemblage herausgehoben, zumindest am Horizont etwas Wahrheit aufscheinen zu lassen. Hatwagner vertraut auf diese Kraft. Ihre Antworten auf die Verwüstung der Welt sind die unbedingte Sorge um die Dinge und die Anerkennung ihrer und der eigenen Verletzlichkeit. Ihre Arbeiten stellen sich mutig dem Verlust und entwerfen trotzdem vertrauensvoll die Zukunft. Nach der Flut richten sich Hatwagners Arbeiten wertschätzend und leicht in einer zerbrechlich gewordenen Welt ein.

Text: Johannes Siegmund

Karin Hatwagner (1962 in Horn/NÖ), seit 1980 Ausbildung und Arbeit als Restauratorin für Tafel- und Wandmalerei; in den 1990iger Jahren intensive Auseinandersetzung mit vorgefundenen Materialien in der eigenen künstlerischen Arbeit an Bildern und Objekten. 2001–2005 Studium Objektbildhauerei bei Bruno Gironcoli und Manfred Pernice, lebt und arbeitet in Wien und NÖ. www.karinhatwagner.at


Openingday: Saturday, Jan 22, 4–8pm
6pm: performance “Fellpflege”
On view: January 22–February 06, 2022
Opening hours: Saturdays January 29 and February 5, 12–4pm and by appointment 

After the Flood
The climate crisis is not just what is looming. For millions of people, it is already part of their reality. Instead of waiting for the apocalypse, it is therefore worth understanding how people deal with the loss of their world, how they learn to understand the catastrophe as everyday life and live in the devastation, how they conceive a new future together in the ruins of modernity. The great essayist Rebecca Solnit once referred to disaster communism. In this sense, Karin Hatwagner’s works were created after the flood. With ease they design a world in which people and things meet with radical tenderness.

What is flooding us is not only the rising sea levels but also a flood of goods that we, soon after acquiring them, are already degrading to waste, burning to CO2, dumping on mountains of trash, shipping to the Global South or simply ditching into the sea. But waste, that which is exiled from the pure world of brilliance, can also be understood as chance. Hatwagner sees things as chance, as that which is chanced to her. She finds them, collects them, protects them, takes care of them, and gives them self-worth. She restores them and works her way through their layers almost archaeologically. She reads the language of wood, of gold foil, of fabrics and metal parts; a mute language of things that lies secure in their materiality. Then she reveals things and lets her aura shine.

Hatwagner carefully assembles her objets trouvés into fragile sculptures and installations in which a relationship to the world full of radical tenderness lights up. In the things that have been thrown away and abandoned, she does not see rubbish, but rather the ruins of a world that has been discarded, a world in which one could live well although not in abundance. “There is no right life in the wrong,” Adorno proclaimed, but he also emphasized the power of art and assemblage to allow at least some truth to appear on the horizon. Hatwagner relies on this power. Her answers to the devastation of the world are an/the unconditional concern for things and the acknowledgement of their as well as her own vulnerability. Her works bravely face the loss and still confidently design the future. After the flood, Hatwagner’s works adjust themselves easily & respectfully in a world that has become fragile.

Johannes Siegmund

Karin Hatwagner (born 1962 in Horn, Lower Austria), since 1980 training and worked as a restorer of panel and wall paintings; in the 1990s, intensive engagement with found materials in her artistic work on paintings and objects. 2001–2005 studied object sculpture in the class of Bruno Gironcoli and Manfred Pernice. Hatwagner lives and works in Vienna and Lower Austria. www.karinhatwagner.at

Photography: Wolfgang Obermair